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Beitrag vom 07.06.2010
Hannah Free und The Owls
Marie Heidingsfelder
Im Pro-Fun Media-Verleih erscheinen im Juni 2010 gleich zwei Filme auf DVD, die sich mit lesbischer Liebe im Alter auseinandersetzen. Doch während Wendy Jo Carlton ein berührendes Drama...
...gelingt, verliert sich Cheryl Dunyes Thriller im Netz der eigenen Erzähl-Fäden.
Hannah Free
In einer Kleinstadt im mittleren Westen Amerikas wachsen Hannah und Rachel in der erdrückenden Enge traditioneller Rollenbilder und in die Wiege gelegter Lebensentwürfe auf: Zwei Mädchen mit langen Röcken und Zöpfen, die heimlich ihre Liebe zueinander entdecken. Doch während Hannah ihre Heimat verlässt und sich zu einer abenteuerlustigen und selbstbewussten Lesbe entwickelt, fügt sich Rachel dem Kinder-Kirche-Küche-Modell der Fünfziger Jahre. Aber die Liebe der beiden Frauen trotzt Heirat, Weltkrieg, Untreue und Verleugnung durch die Familie.
Hannah Free ist mehr als eine heimliche Liebesgeschichte mit Happy End im Alter. In wunderbar ruhigen Bildern klagt Wendy Jo Carlton die oppressive heteronormative Gesellschaft an, deren Zwänge verhindern, dass zwei Frauen ihre Liebe zueinander offen leben können. Sie schafft mit der Person der Hannah nicht nur ein starkes und selbstbewusstes Coming-Out-Vorbild, sondern zeigt gleichzeitig großes Verständnis für Rachel. Deren Selbstverleugnung, passives Leiden und ständiges Warten bekommen etwas ebenso Heroisches, wie Hannahs selbstbewusster Weg in die Welt. Erst sehr spät verbringt sie offen Zeit mit Hannah: Zwei Rentnerinnen, die gemeinsam im Garten arbeiten, auf dem Sofa sitzen und spazieren gehen. Doch obwohl die prüden Fünfziger lang zurück liegen, haben sich die Tabus der Gesellschaft kaum geändert und noch im Altenheim ist der Kontakt zwischen den beiden Frauen von Rachels Familie unerwünscht...
Die gealterte "Hannah" wird wunderbar von Golden-Globe Gewinnerin Sharon Gless gespielt, die unter anderem aus "Cagney & Lacey" und "Queer als Folk" bekannt ist.
Wendy Jo Carlton gelingt ein einfühlsamer und trotz der vielen Rückblenden gleichsam ruhiger wie mitnehmender Erzählfluss, dem man nur zu gerne die ein oder andere Unwahrscheinlichkeit erlaubt. "Hannah Free" ist nicht nur eine Coming-Out-Story, sondern enttabuisiert lesbische Liebe im Alter und kritisiert leise aber umso deutlicher Heteronormativität und die von ihr ausgehenden Zwänge und Ängste.
The Owls
OWLs ist das Akronym für Older, Wiser Lesbians, doch zumindest das W ist in diesem Thriller von Cheryl Dyune fragwürdig: Es geht um Iris, Lily, Carol und MJ, die einst gefeierte Lesbenband "Screetch", deren Leben zwanzig Jahre später nur noch um Langeweile, Drogen und utopische Comeback-Träume kreist. Sprachlosigkeit beherrscht die Beziehungen der Frauen und die Räume der riesigen, sterilen Villa. Auch Lily und Carol haben sich trotz Paartherapie nicht viel zu sagen, während Iris und MJ in einem komplizierten Gewirr aus Anziehung und Verachtung verstrickt sind. Mitten in diese unterschwellige Spannung platzt die junge hübsche Cricket und landet nach einer Party mit zu vielen Drogen auf dem Schoß von Iris. Die Situation eskaliert, Cricket verschwindet und geeint durch ein Geheimnis setzen die vier den Alltag fort, bis die mysteriöse Skye auftaucht...
Im beständigen Versuch, dem Genre des Thrillers gerecht zu werden, durchziehen beunruhigende Aufnahmen den Film: Schiefe Einstellungen, zusammenhanglose Schnitte und immer wieder Stellungnahmen der Protagonistinnen, die parallel zur Handlung eingeblendet werden. Dieses Konzept ist interessant, zieht aber überhaupt nicht. Statt Nervenkitzel überwiegt Verwirrung, Unverständnis und schnell auch Langeweile. Dazu kommt im Laufe der Zeit der Ärger darüber, wie konsequent der Film an all den wichtigen und interessanten Problemen vorbei geht, die er anschneidet. Weder werden die realistischen Probleme älterer Lesben, noch der Kinderwunsch von Lily, noch die sexuelle Identität von Skye, noch die Frauenbewegung in Amerika, noch die Rassendiskriminierung thematisiert. Als wildes Gemenge halbherzig behandelter Themen und Ideen scheitert "The Owls" letztendlich an allen eigenen Ansprüchen und auf der Leinwand.
AVIVA-Fazit: Zwei Filme, eine Thematik und eine eindeutige Wahl: "Hannah Free"!
Zu den Regisseurinnen:
Wendy Jo Carlton ist Filmemacherin, Autorin und Fotografin mit Erfahrung in Rundfunk, Lehre und Aktivismus. Mit Kurz- und Experimentalfilmen gewann sie eine Reihe von Auszeichnungen. 2006 war Carlton Co-Produzentin der offiziellen Chicago Gay Games Dokumentation.
site.wendyjocarlton.com
Cheryl Dunye: ist Filmemacherin, Drehbuchautorin und Regisseurin. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit den Themen race, gender und sexueller Orientierung auseinander. Für ihren Debütfilm "The Watermelon Woman" gewann sie 1996 den Teddy Award in Berlin.
Weitere Informationen finden Sie unter:www.cheryldunye.com
Hannah Free
PRO-FUN MEDIA
Originaltitel: Hannah Free
Sprache: Englisch
Untertitel: Deutsch (optional)
Regie: Wendy Jo Carlton
Buch: Claudia Allen
DarstellerInnen: Sharon Gless, Maureen Gallagher, Kelli Strickland, Ann Hagemann, Taylor Miller, Jacqui Jackson
FSK: ab 12 Jahren beantragt
VÖ: 25. Juni 2010
Gesamtspieldauer: ca. 86 Minuten
The Owls
PRO-FUN MEDIA
Sprache: Englisch
Untertitel: Deutsch
Regie: Cheryl Dunye
Drehbuch: Cheryl Dunye, Sarah Schulman;
Darstellerinnen: Cheryl Dunye, Lisa Gornick, Guinevere Turner, V.S. Brodie, Deak Evgenikos, Skyler Cooper
Gesamtspieldauer: ca. 66 Minuten
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
The Watermelon Woman, der Debütfilm von Cheryl Dunye, Born in Flames, ein Film von Lizzie Borden und Itty Bitty Titty Comittee, ein Film von Jamie Babbit